Gerichtsurteil zur Dritten Option – was wird daraus? Forderungen für die CSDs

Gerichtsurteil zur Dritten Option – was wird daraus?

Das Urteil des BVG vom November 2017, welches die Schaffung eines dritten, positiven Geschlechtseintrags oder die Streichung der behördlichen Erfassung des Geschlechtseintrags bis Ende 2018 fordert, hat Hoffnung geweckt. Nicht nur bei den Menschen mit Intersexualität, die sich weder den Eintrag weiblich noch männlich im Pass wünschen, sondern auch bei Menschen die sich als nicht-binär verorten, sowie bei all jenen, die in den Überresten des TSG wenig Positives aber viel Potential für Repressalien sehen.

Deutschland hat die einmalige Chance, sich Anlässlich der Erfüllung des Urteils moderne Regelungen zum Personenstand und zu weiteren Gesetzen zu geben, und sich unter anderem der „Gesetzesruine TSG“ zu entledigen.

Vorstöße und Empfehlungen dazu gibt es genügend: Von den Ergebnissen einer Interministeriellen Arbeitsgruppe (1) samt Gutachten und Mantelgesetzentwurf, der in einer Entschließung des Bundesrats vom Mai 2017 ausdrücklich begrüßt wird (2), über den Gesetzentwurf der Grünen zum Selbstbestimmungsgesetz (3) liegen ausführliche Ergebnisse und Grundlagen vor, die jetzt umgesetzt werden könnten, um Regelungen im Sinne aller persönlich Betroffenen, d.h. all derer Menschen, die sich eine Änderung ihres Geschlechtseintrags wünschen, zu schaffen. Ein Statement dazu findet sich auch auf der Seite der Kampagne Dritte Option (4).

Einem Bericht zufolge, der am 8.5. veröffentlicht wurde, soll derzeit im Innenministerium an einem Gesetzentwurf gearbeitet werden, welcher weit hinter den Möglichkeiten der beiden genannten Gesetzentwürfe und der Empfehlung des Bundesrats zurückbleibt (6).

Sollte, wie befürchtet, eine Spar-Version der Umsetzung folgen, welche die bestehende Begutachtungspflicht fortschreibt und die Eintragung einer Dritten Option lediglich nach medizinischer Begutachtung vorsieht, anstatt einen selbstbestimmten Umgang mit dem Wissen über die eigene Geschlechtszugehörigkeit zu ermöglichen, so würde eine historische Chance vertan, umfassende, dringend nötige Neuregelungen zu schaffen!

Um dem Bedarf nach einer umfassenden Neuregelung Ausdruck zu verleihen, hat sich das Bündnis der „Aktion Standesamt 2018“ formiert, und sucht weitere Unterstützende (5). Durch die Erarbeitung von Infomaterial und Musteranträgen soll analog zur namensgebenden „Aktion Standesamt“ von 1992, bei der in einer bundesweiten Aktion 250 gleichgeschlechtliche Paare einen Antrag auf eine Eheschließung bei ihrem Standesamt vor Ort einreichten, der Bedarf nach neuen Regelungen artikuliert werden.

Sei es für Menschen mit Transsexualität, die sich die Änderung des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechtseintrag von weiblich nach männlich, von männlich nach weiblich, oder zu einer Dritten Option wünschen, oder für Menschen, die sich als Transident, nicht-binär oder genderqueer bezeichnen, oder Menschen mit Intersexualität – das Wissen über die eigene Geschlechtszugehörigkeit kann nicht von außen festgestellt werden, und solche Verfahren gehören abgeschafft.

Bitte berücksichtig das Thema in euren Publikationen und Reden zum IDAHOT und zu den CSDs der kommenden Saison. Auch wenn es wie eine kleine Gruppe scheint, so betrifft das Thema doch mehrere Zehntausende von Menschen (7), (8) in Deutschland – und diese aber massiv!

An einer Vernetzung interessierte Organisationen und Einzelpersonen in BW werden gebeten, sich unter kontakt@netzwerk-lsbttiq.net  oder mailbox@jasminus.de zu melden.

Infomaterial und weitere Informationen zur Vernetzung in Baden-Württemberg auch unter mailbox@jasminus.de,
zur Vernetzung in anderen Regionen bitte direkt über die Webseite der Aktion Standesamt 2018 wenden.

(1) https://www.bmfsfj.de/blob/114066/8a02a557eab695bf7179ff2e92d0ab28/imag-band-8-geschlechtervielfalt-im-recht-data.pdf
BMFSFJ, Januar 2017, 327 Seiten: Teil 1 Gutachten, Teil 2 Gesetzes zur Anerkennung und zum Schutz der Geschlechtervielfalt
(2) https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0301-0400/362-17.pdf?__blob=publicationFile&v=5
Entschließung des Bundesrats, Mai 2017: „Die Arbeitsgruppe der Bundesregierung tagt bereits seit 2014. Alle wesentlichen Fragen einer Reform sind durch mehrere, umfangreiche Gutachten geklärt. Ein weiteres Abwarten des angekündigten Abschlussberichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe droht die notwendige Reform daher nur  weiter zu  verzögern  –  mit  allen  negativen  Folgen für   die   Betroffenen,   die   sich   zwischenzeitlich   weiterhin   einer   teuren   und unnötigen Begutachtungspflicht unterziehen müssen.“
(3) http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/121/1812179.pdf

Drucksache Deutscher Bundestag, Mai 2017, Gesetzentwurf Selbstbestimmungsgesetz der Grünen: „Das Transsexuellengesetz (TSG) ist mehr als 30 Jahre alt und entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft. Es stellt für die Änderung der Vornamen und die Berichtigung des Geschlechtseintrages entsprechend der selbst bestimmten Geschlechtsidentität unbegründete Hürden auf, die das Selbstbestimmungsrecht in menschenunwürdiger Weise beeinträchtigen. Bereits sechs Mal hat das Bundesverfassungsgericht einzelne  Vorschriften  des  Gesetzes  für  verfassungswidrig  erklärt […] Auch weitere Vorschriften des TSG stehen verfassungsrechtlich in der Kritik, wie der psychopathologisierende Begutachtungszwang.“
(4) http://dritte-option.de/wp-content/uploads/2018/01/Stellungnahme-Gesetzentwurf-Dritter-Geschlechtseintrag.pdf
Statement zum Gesetzgebungsverfahren, weitere Informationen http://dritte-option.de/
(5) https://aktionstandesamt2018.de/
Webseite der Aktion Standesamt 2018
(6) https://www.buzzfeed.com/de/julianeloeffler/exklusiv-gesetzentwurf-fuer-intergeschlechtliche
Bericht über einen noch unveröffentlichten, weit hinter den Möglichkeiten zurückblebenden Gesetzentwurf aus dem Innenministerium
(7) http://www.im-ev.de/pdf/Schattenbericht_CEDAW_2008-Intersexuelle_Menschen_e_V.pdf  Einem Bericht des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. zur Folge leben ca. 80.000 bis 120.000 medizinisch mit dem Begriff „intersexuell“ bezechnete Menschen in Deutschland
(8) https://www.dgti.org/component/jdownloads/send/2-public/25-dgti-fakten-daten-zahlen.html
Schätzungen der dgti e.V.zur Folge gibt es ca. 200 000 Menschen mit geschlechtlicher Thematik in Deutschland.
– Von beiden zuvor genannten Gruppen wünscht sich jedoch nur ein Teil eine Änderung des Geschlechtseintrags – das Verfahren ist jedoch mit großen Hürden verbunden und die Umstände mitunter sehr belastend.

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